Otto Siegl(1896–1978)

Otto Siegl verdiente es, von allen Kammermusikern, Fachleuten und Dilettanten, gespielt zu werden. Er hat sämtliche Gattungen der Kammermusik bereichert. Man muss wissen, dass seine Tonsprache nicht immer gleich geblieben ist. Seine letzten Werke sind tonal, früher komponierte er freitonal. Altmann bezeichnet die erste Sonate in seinem Kammermusik-Katalog als «atonal», was aber gar nichts heisst. Sie ist eine kraftvolle Sonate, und es wird einem hier so richtig bewusst, wie überflüssig, oft auch irreführend, die Etiketten «tonal», «freitonal» und «atonal» sind. Aus der gleichen Zeit stammt auch das knappe Divertimento für Streichtrio (op. 44). Die zweite Sonate steht in Es-dur. Das Thema des 1. Satzes, ein romantisches, ja fast klassisches Es-dur-Thema, sucht seinesgleichen. Das Larghetto steht in As-dur, das Finale, ein spritziges Presto, wieder in Es-dur. Die Sonate ist gut zu bewältigen und macht Freude. Herrlich ist auch die Weihnachtssonate mit Orgel.
Eine Duo-Sonatine für Violine und Viola hat Siegl als op. 138 veröffentlicht. Im Vorwort dazu sagt er: «Die Duo-Sonatine ... ist mit einigen weiteren Musizierstücken für kleine Besetzung im Frühjahr 1944 in der ländlichen Abgeschiedenheit des Dörfchens Wiefeldick bei Solingen entstanden. Bei dem Mangel an Werken dieser Art schien es mir angebracht, Neues zu schaffen, um so eher, als sich immer mehr Freunde zu meinen stillen Musikstunden einfanden, die in den Tönen Erholung von den Schrecken des Krieges suchten.» Ausser dieser Duo-Sonatine sind entstanden: op. 130 Streichtrio in B-dur, op. 134 a Trio für 2 Violinen und Viola in a-moll, vermutlich auch op. 139 Duo-Sonate für Viola und Cello in G-dur. Ganz besonders zu empfehlen ist eben dieses Duo, ein herrliches Werk. So die Instrumente zum Klingen zu bringen, das kann eben nur ein Komponist, der praktische Erfahrungen als Streicher hat.
Wie überrascht war ich, diese Duo-Sonate ein halbes Jahrhundert nach ihrem Erscheinen auf einer CD zu entdecken. Ich habe sie in den 60er Jahren als junger Mann mit meinem Bruder gespielt: nun können wir sie als alte Männer nochmals anhören. Die CD hat den Titel «Keepsake of Modern Age. Vergessene Moderne» und bringt noch Werke für Viola und Cello von R.Clarke, Hindemith, G.Raphael, Lutoslawski, Milhaud und S.Schul, gespielt von Julia Rebekka Adler und Thomas Ruge (NEOS 10805).
Mit Flöte und Oboe bringt Otto Siegl die Bratsche zusammen in Trifolium, einer dreisätzigen Serenade. Drei weitere Trios sind teils Manuskript, teils nicht mehr greifbar. Aus der gleichen Zeit wie die zweite Sonate stammt ein straffes Trio (in A) für Violine, Viola und Klavier.
Ein Leckerbissen für jeden Bratschisten wäre das Concertino in e-moll für Viola und Streichquartett. Leider ist das Werk (entgegen anderslautenden Angaben) nie publiziert worden. Eine Kopie des Manuskripts ist in meinem Besitz. Ob das Konzert a-moll für Streichquartett und Streichorchester tatsächlich ediert worden ist, weiss ich nicht. Übrigens hat Otto Siegl auch noch zwei Werke für Gesang, Viola und Klavier und zwei für Männerchor und Viola geschrieben (vgl. M 16,5-6).