Alessandro Rolla(1757–1841)

Alessandro Rolla ist für mich zum grössten Wunder in der «Bratschenwelt» geworden, erstaunlicher als Casimir-Ney und Urhan. Es ist heute klar, dass er einer der schöpferischsten Menschen gewesen ist (gegen 600 Kompositionen) - und sein Leben bestand ja nicht nur aus Komponieren, sondern wesentlich auch aus Konzertieren, Orchesterleiten und Unterrichten. Erstaunlich auch, dass ständig noch mehr Unbekanntes zum Vorschein kommt: Wenn Drüner 1976 von etwa 65 Duos mit Viola spricht, so sind es 1982 bereits 99. Und wenn er 1982 die Gesamtzahl aller Duos mit 215 angibt, sind es nun (1998) 233 («Die Streichduos von Alessandro Rolla unter besonderer Berücksichtigung der Duos für Violine und Viola», in: Das Orchester, 1998/4, 12-18). Im übrigen hat ja Rolla nicht nur Duos, sondern auch Trios und grössere Kammermusikwerke - und 47 Werke für Violine und Orchester und 21 für Bratsche und Orchester geschaffen! Trotzdem erhielt er im 20bändigen «New Grove» bloss eine Spalte.
Es liegt nun bereits eine solche Fülle an Neuausgaben vor, dass ich hier gar nicht alles besprechen kann. Ganz generell: Anfänger seien gewarnt, denn es handelt sich bei den neu edierten Stücken nicht um Schrumm-Schrumm-Duette und -Trios. Etwa im konzertanten Duo C-dur wird von beiden technisch soviel verlangt wie in irgendeinem klassischen Konzert. In Drüners Worten: «Leider hat Rolla seine Meisterwerke in einem schwer zu bezwingenden Elfenbeinturm verschlossen. Die meisten seiner Streichduos sind technisch so anspruchsvoll, zum Teil so extrem schwer, dass sie für Liebhaber meist unerreichbar sind und selbst dem Berufsmusiker härteste Arbeit abverlangen. Dass dies ein grosses Hindernis für die wirtschaftliche Ergiebigkeit von Neuausgaben ist, darf hier nicht unerwähnt bleiben» (in dem oben zitierten Aufsatz, S. 18).
Eine Rarität sondergleichen ist die Serenata für Violine und eine um eine Terz tiefer gestimmte Viola (also F/B/Es/As); das Stück steht in Es-dur, die Violastimme ist demnach in G-dur notiert. Einzigartige Effekte. Ein Muss für alle Bratscher sind die 3 Duos für Violen und das Duo mit Cello. Sie sind nicht so schwierig wie die Duos mit Violine. Die bis jetzt edierten Trios mit zwei Violinen sind relativ einfach. Hingegen in den konzertanten Trios (mit Violine und Cello) wird wieder mehr verlangt. Zwei Sonaten «per viola e basso» liegen als Werke für Bratsche und Klavier vor. 1998 hat Drüner (bei Amadeus) zwei Violasonaten (beide Es-dur) herausgegeben, die in der Originalversion (Viola mit begleitender Violine) kaum «Abnehmer» fänden, weshalb F. Beyer eine Klavierstimme erarbeitete: So hat man zwei «neue», prächtige und virtuose Violasonaten aus der Schubert-Zeit (1824). Beiläufig: Die Originalfassung der ersten Sonate ist ebenfalls zu haben: Beim Duospielen dem ahnungslosen Geiger vorlegen und sehen, wie er reagiert. Zweisätzig ist eine einfache Serenata Es-dur für die aussergewöhnliche Besetzung 2 Violinen und 2 Violen. Wer etwas in gleicher Besetzung sucht, dem sei der 3. Satz (Alla Sarabanda) des Phantasy Quintet von Vaughan Williams empfohlen (Satz ohne Cello).
An konzertanten Werken sind unter anderem 2 Konzerte, ein Divertimento und ein Rondo für Viola und kleines Orchester greifbar, alles wunderbare Kompositionen mit recht virtuosen Soli (vgl. Jb 3, 44-46: Sciannameo über Rollas Werke für Viola und Orchester; Jb 4, 49-58: Inzaghi über Rolla). Der amerikanische Bratschist Kenneth Martinson hat sich daran gemacht, sämtliche Violawerke von Alessandro Rolla, aber auch die 131 Violinduette wieder (oder zum erstenmal) herauszugeben, wofür er herzlichen Dank der weltweiten Viola-Gemeinde entgegennehmen kann. Die 13 Nummern für Viola solo und die 38 Viola-Duette liegen bereits vor. Von den Duetten mit Violine sind bis 2012 fünf Bände (d. h. 18 Duette, BI 33-50) erschienen.
In einem Heft der Cornetto-Reihe (Viola-Edition) haben die Jappes neben den bekannten Solostücken für Bratsche (Giro armonico/Esercizio I und II) noch Intonazione I und II und 2 Arpeggi für Viola und Violine abgedruckt.